Montag, September 14, 2015

Kommende

Ich habe Neujahr 1992 in Budapest verbracht.
Es war ein einziges Feuerwerk.
 

Meine gesamte Jugend war geprägt von Offenheit und grenzenloser Neugier.
Ich habe Bier getrunken in Prag und bin im Tacheles in Berlin herumgestapft.
Ich habe die kohlegeschwängerte Luft des Ostens genossen
Und mir keinen einzigen kleinen Moment dabei gedacht, besser zu sein.
Ich kenne nichts besseres als diese Welt.
Und diese Welt hat sich mir immer nur erschlossen durch Menschen, die mir das näher brachten, was ich vorher nicht kannte.

Manche Einsätze im Flüchtlingslager Traiskirchen Anfang der Neunziger waren schlimm. Ein randalierender Schwarzafrikaner im fahrenden Rettungsauto ist nicht lustig. Es hat mich nachhaltig geprägt, einen HIV-positiven Irgendwoher-Kommenden einfach auszusetzen. Latex-behandschuht hab ich ihm noch alles gute gewünscht und in seine verzweifelten Augen geschaut. Das Funkgerät hat bestätigt, dass wir rechtens handeln. Auch das war 1992.

So tun wir also alle, als hätte es das alles nie gegeben.

Selbstverständlich rennen die um ihr Leben, die um es fürchten müssen. Das war nie anders. Das wird auch nie anders sein.

Das, was uns jetzt hoffentlich peinlich berührt, ist die Scham darüber, dass wir es schon seit Jahrzehnten hätten besser machen können.
Die, die jetzt kommen, sind nämlich keine Flüchtlinge. Sie sind Kommende. Sie kommen dorthin, wo es besser ist. Und das ist ihr gutes Recht.