Dienstag, Jänner 22, 2008

Der Verein der Content-Verschenker

Nicht erst seit der Meldung der mehr als bedauernswerten Insolvenz von Soulseduction standen die letzten Wochen und Monate für mich im Zeichen von intensiver Beschäftigung mit dem Zustand des Musikgeschäfts – und ob es noch eines ist. Ich komme immer mehr zum Schluss, daß es sich um eine wirkliche Katastrophe handelt. Der Freigeist in mir hat filesharing, “illegale” Verbreitung von Musik aus Begeisterung und die ideellen und idealistischen Charakteranteile an Musik immer zu verteidigen versucht. Der Ex-Major-Fuzzi in mir hat all das schnöde, neoliberale Kapitalisten-Gequassel linkisch als visionslos abgetan. In der Pragmatik, die mich das Kleinstunternehmertum und das Landleben täglich lehren, erkenne ich aber ganz klar: Wir sind im Arsch.
Einer, der sich über Milchpreise und Heizkosten intensiv und ständig schlau macht, kann nicht gleichzeitig seine Musik herschenken wollen. Ich meine nicht, daß der Prozess der Milchgewinnung einfach ist, weder für das Vieh, noch für den Bauern, aber ich meine sehr wohl, daß der Entstehungsprozeß von Musik oft viel viel härter, intensiver, unvorhersehbarer und anstrengender ist. Und das Ergebnis all dieser auch oft sehr angenehmen und erkenntnisreichen Anstrengungen eines Kreativprozesses soll dann einfach verschenkt werden? Ich kapier das nicht.
Mittlerweile bin ich überzeugt davon, daß die Konsumationskultur bei Musik weltweit völlig unter jedem Niveau ist. Die große freie Welt des Digitalen hat der breiten Masse nicht nur die Erzeugung von “Content” in die Hände gegeben, sondern auch gleichzeitig dessen Bewertung und Vermarktung (Stichwort: blog, podcast, etc.). Heutzutage hat man keine “Freunde” mehr, sondern “friends”. Man suhlt sich in einer Masse von angeblich freundlichen, aber namenlosen Bekannten, ergibt sich dem Gefühl von kosmopolitischem Dasein per Mausklick und bleibt dann doch, wo man ist, horizontunerweitert.
Die Freiheit der Information, die unfassbare “Convenience”, die das Internet bieten kann und noch viel mehr bieten wird, darf uns nicht davor bewahren, unsere eigenen Kurzsichtigkeiten zu überprüfen. Es fehlt an Filtern, an Opinion Leadern, an Kulturimpulsgebern, an Vorbildern. Wir ersticken in “Content” und wissen dabei gar nicht mehr, welche neuen Modewörter und Web2.0-Applikationen zu erfinden sind, damit wir mit der Schnelligkeit der Produktion von “Content” Schritt halten können. Wir befinden uns in einer riesigen Blase an virtueller Pseudo-Realität. Wenn es stimmt, daß die Gewinner die Geschichte schreiben, dann erkenne ich Parallelen zwischen den großen Gefahren der Gentechnik und denen der
modernen Informationstechnologie.
Es geht alles viel zu schnell. Niemand setzt sich hin und macht sich Gedanken, wohin das alles führen soll, kann, nicht soll, nicht darf, müsste,… (bzw. niemand hört rechtzeitig auf die, die sich hinsetzen und nachdenken - Stichwort: Klimawandel.)
Und das nachdenkende Lenken und Beeinflussen ist nicht nur, wenn auch zuallererst, Aufgabe der Politiker und Mächtigen, sondern auch Aufgabe derjenigen, die gar so bereitwillig ihren eigenen “user-generated content” unentgeltlich zur Verfügung stellen.
Um somit auf Musik zurückzukommen: Ich sage nicht, daß es nicht unglaublich viel superinteressante Musik zu entdecken gibt, seit die Schleusen geöffnet sind und die Gatekeeper digital größtenteils entfernt wurden (oder ist es nicht eher so, daß es jetzt neue Gatekeeper sind, die lediglich smarter agieren?). Ich sage nicht, daß es nicht jeder einzelne Begabte verdient hat, sich sein Publikum zu suchen und zu finden.
Ich sage aber sehr wohl: Wir haben uns das Geschäft ruiniert. All die Ach-So-Klugen (so wie ich... :-)) und bloggenden (so wie ich... :-)) , Buch-schreibenden (bald ich auch... :-)) Visionäre, die von neuen “business models” reden und daß sich der Musikmarkt “mindestens verzehnfachen” wird, die sollen mir bitte mal erklären, WAS SIE WIRKLICH MEINEN. Die sollen mir bitte sagen, von welchem BUSINESS MODELL sie denn überhaupt reden. Ich habe einen Verdacht: Hier wird lediglich von MODELLEN, von Konstrukten, geredet, aber nicht von BUSINESS. Hier wird (vielleicht) von MUSIK geredet, aber nicht von GESCHÄFT. Hier wird davon geredet, daß der Künstler sich damit zufriedengeben soll, daß er Applaus bekommt (wenn er Glück hat) und daß er sich das Gulasch und das Seidl Bier bitte wieder selber zahlen soll. Hier wird davon geredet, daß man zwar seine Musik veröffentlichen kann, aber nie Geld dafür sehen wird.
Jaja, die MADONNA und RADIOHEAD. Ich sag (schreib) Euch was: ICH KANN ES NICHT MEHR HÖREN!!!! These ***kers have been raised and fed by the MAJORS a very long time and now they go and make their own thing. Ich bin wahrlich kein Major-Freund und ich weiß ein wenig davon, wie es in einem internationalen Konzern zugeht. Aber das ist doch lächerlich: RADIOHEAD sind nicht die großen Independent-Helden der neuen, tollen, digitalen Welt. Die haben lediglich ein gutes Management und genug Smartness, um ihren derzeitigen Status voll und ganz auszunützen. Die spielen Schach. Und vorallem: Die hatten eine Major-Company, die heftig mitgeholfen hat, sie so groß zu machen.
Was ist aber mit all den anderen, den ganzen No-Names, die schon lange Zeit vor der Radiohead-Aktion ihre Musik gegen freie Spende hergegeben haben? Sind die dabei reich geworden? Haben die dadurch ihr nächstes Album finanziert? Spielen die alle jetzt in
vollen Clubs? Sind die denn jetzt Superstars?
Ich denke, es stimmt, was Martin Stiksel (last.fm) in einem Interview in etwa gesagt hat (ich zitiere aus meinem Gedächtnis): “Das Internet-Business ist beinhart. Es gibt in jedem Segment nur einen Winner.” So, und das ist der große Betrug, liebe Content-Herschenker: Ihr füttert die supermächtigen Rupert Murdochs und Bill Gates's dieser Welt mit Eurem Herzblut, damit die auch in der neuen, tollen, digitalen Welt die Winner bleiben, und wiegt Euch in einer scheinbaren Popularität, in scheinbarer Freiheit, in einer schönen neuen Welt voller “friends” - und in Wirklichkeit ist es nichts anderes, als ein gefinkeltes, weltweites Netz an unbezahlten Arbeitern, von freiwilligen und auch noch dankbaren, nicht einmal ehrenamtlichen Mitgliedern im Verein der Content-Verschenker.
Think about it. It’s a fact.

1 Comments:

At 28 Jänner, 2008 11:38, Anonymous Anonym said...

Hallo Chris!

Ausgezeichnete Analyse! Du hast in Worte gefasst, was ich nur diffus erahnt habe.

Beste Grüße,
Willi

 

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